Man muss Vertrauen haben
Die Krebserkrankung ĂŒberrumpelte mich wĂ€hrend meines Studiums mit gerade mal 27 Jahren, wenige Monate vorher war ich noch einen Marathon gelaufen. Die Diagnose lautete: Weichteilsarkom im Schulter-RĂŒcken-Bereich (ca. 12 x 15 cm) mit beidseitigen Lungenmetastasen sowie Metastasen im Lungenvorraum. Damals begann fĂŒr mich eine Lawine des Schreckens. Ich bekam Bestrahlungen und Chemotherapie, und es ging mir sehr schlecht. Nach fĂŒnf Zyklen musste die Chemotherapie abgebrochen werden, weil mein Knochenmark sich nicht mehr erholte. Die Ărzte schlugen mir eine Operation in Heidelberg vor. Als ich erfuhr, was das fĂŒr mich bedeuten wĂŒrde, entschied ich mich ganz klar dagegen. Ich war gewohnt, meine Leistungen jederzeit abrufen zu können, war sogar wĂ€hrend der Chemotherapie weiter gelaufen. Damals spĂŒrte ich in mir, ich darf nicht zulassen, dass sich die Krankheit auch in meinem Kopf und in meiner Seele ausbreitet.
Ich gönnte mir sechs Wochen Auszeit in der Klinik Ăschelbronn, und war â auĂer fĂŒr meine Eltern und meine damalige Partnerin â fĂŒr niemanden zu erreichen. Dort wurde ich mit Fiebertherapie behandelt und meine Seele kam wieder auf die Beine. Ich fand zuruck zu meiner inneren Ruhe und Gelassenheit und spĂŒrte in mir genĂŒgend Kraft, gegen die Krankheit anzugehen. Wieder zu Hause setzte ich die Fiebertherapie noch sechs Wochen lang fort. Beim nĂ€chsten CT konnten die Ărzte es kaum
glauben: viele Metastasen waren weg â fĂŒr mich ein Zeichen: Ich bin auf dem richtigen Weg!
Aus der anthroposophischen Medizin habe ich mir vieles heraus gepickt, was fĂŒr mich richtig war â Heileurythmie, Fiebertherapie, Plastizieren â aber ich bin nicht „versteinert“. Ich habe Schriften von Rudolf Steiner gelesen, wusste dabei immer, ich muss meinen eigenen Weg finden. Dazu gehörte auch, mehr Freude in mein Leben zu bringen, ich war damals sehr ehrgeizig, habÂŽ mir wenig gegönnt. Ich habe die Musik und die Kunst entdeckt. Wenn ich italienische Opern höre oder Kunstausstellungen
besuche, gibt mir das viel Kraft, genauso wie die Arbeit in der Selbsthilfegruppe.
1995 wurde ich geschieden, 1998 heiratete ich ein zweites Mal. Mehr als 12 Jahre nach der erste Diagnose meldete sich die Krankheit zurĂŒck. Ich dachte eigentlich „Geschafft!“, weil man bei einer Krebserkrankung ja sagt, wenn sich der Krebs mehr als zehn Jahre nicht mehr meldet, ist er ĂŒberstanden.
Im MĂ€rz 2001 wurde mir ein LungenflĂŒgel entnommen. Zur „Anschlussheilbehandlung“ ging ich diesmal in die Sonnenbergklinik, vier Monate spĂ€ter war ich wieder in meinem Beruf. Im Juni 2002 wurde eine Metastase an der Hirnhaut diagnostiziert und operiert. Seit Januar 2003 arbeite ich wieder in meinem Beruf als Abteilungsleiter fĂŒr Kapitalmarktanalyse bei der Sparkasse Hannover. Die RĂŒckfĂ€lle waren schlimm, aber ich habe durch die Erkrankung immer wieder etwas Neues gefunden: Qi Gong zum Beispiel als ich nach der Lungen-OP Schmerzen im Brustraum hatte. Ich habe gelernt, dass ich auch auf dieser Ebene Energie gewinnen kann, inzwischen auch beim Meditieren. Als ich 40 wurde und die Metastase an der Hirnhaut diagnostiziert wurde, dachte ich „Am Gehirn, das ist nicht mehr weit bis zum Sterben“. Ich hab damals viel ĂŒber den Sinn meines Lebens nachgedacht und die Frage „Wo soll es hingehen?“.
Ich kann nur sagen, man muss Vertrauen haben, dann fĂŒgt es sich. Vertrauen ist das Allerwichtigste.
(von Jörg Ulrichss, aus GfbK Impulse 04-2005)
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